Auf und davon


30.05.23 - Trotz Schweizer Sicherheit, trotz Job, Familie und Freundeskreis: Jahr für Jahr verlassen Tausende Schweizerinnen und Schweizer ihre alte Heimat, um in der Ferne ein neues Leben zu beginnen.



Ein Hufschmiede-Unternehmen in Kanada: Davon träumte Tom Haas. Die Wilde Natur und viel Platz ist das, was Tom Haas, seine Frau und seine Kinder nach Kanada gezogen hat. Die Familie wusste schon immer, damit sie ihre Leidenschaft für die Pferde voll ausleben können, werden sie eines Tages das Weite suchen. Trotz einigen Unsicherheiten und Bürokratischen Hürden haben sie ihr Ziel nie aus den Augen verloren. Nach zwei Jahren genauer Planung sind sie dann endlich nach Sundre in Kanada gezogen, wo Tom Haas die TH-Horseshoeing gründete.
Nun haben wir mit ihm einen Rückblick auf die ersten zwei Jahre in Kanada gemacht, so bekommen wir einen Einblick wie das Hufschmieden und das Leben dort verläuft. Des Weiteren erzählt er uns, wie sich der Hufbeschlag zwischen der Schweiz und Kanada unterscheidet und wie die Ausbildung zu den Hufschmieden ganz anderes verläuft in der Ferne.
Den Vollständigen Artikel zu diesem Abendteuer und zu allen Hürden und Freuden die Tom Haas und seine Familie auf diesem Weg erlebt haben, steht auf der Homepage von Farriertec Suisse bereit.

Hufschmied Tom Haas: Auf und davon…

Der gelernte Hufschmied Tom Haas wanderte nach langer Vorbereitungszeit mit der ganzen Familie von Hünenberg nach Kanada aus und gründete die TH Horseshoeing Corp. Nach fast zwei Jahren ist es an der Zeit, ihm ein paar Fragen zur Arbeit zu stellen und somit den Blick über den Schweizer Markt zu öffnen.

Das Abenteuer Kanada war für dich keine Kurzschlussreaktion, sondern ein langgehegter Wunsch. Was waren die Gründe?
Tom Haas: Wir haben schon immer die Weite gesucht. Meine Frau Natascha und ich reiten gerne im Western-Stil. Natascha betreibt zusätzlich den Cutting-Sport, ein Wettbewerb, bei dem man mit dem Pferd ein Rind aus einer Herde trennen und verhindern muss, dass es zurückkehrt. Den Platz für unsere Hobbys haben wir in der Schweiz nicht mehr gefunden – und es wurde auch zu teuer. Zudem wollten wir unsere Kinder – Cayden (8) und Casey (5) möglichst in der Natur aufwachsen lassen. Wir wohnen jetzt an einem idyllischen Ort mit elf Hektaren Land und sogar einem See. Am Abend heulen die Koyoten...

Wie habt ihr die Ranch bei Sundre in der Prairieprovinz Alberta gefunden?
Ich habe hier in der Gegend gearbeitet und auf diesem Hof die Pferde beschlagen. Der Ort gefiel mir augenblicklich und sagte zur Besitzerin, einer älteren Dame, dass ich daran interessiert wäre, falls sie jemals verkaufen würde. Nur ein paar Wochen später machte sie mir ein Angebot. Der Ort ist ideal, zwar abgelegen aber dennoch nur fünfzehn Minuten vom Städtchen Sundre entfernt. Die Gebäude sind etwas älter und geben immer etwas zu tun, aber wir sind alle glücklich. 

Welche waren die grössten Hürden, die du gemeinsam mit deiner Familie nehmen musstest?
Auswandern ist komplex und sehr emotional. Wir hatten dabei viel zu lachen, aber oft flossen auch Tränen. Wir mussten uns oft fragen, ob wir das Ganze schaffen oder ob wir abbrechen und wieder zurückmüssen – zum Glück sind Natascha und ich ein gutes Team. Dann sind da die administrativen Herausforderungen. Um sich anzumelden, braucht man eine Versicherungsnummer. Diese erhält man aber nur, wenn man einen Fahrausweis hat und so weiter. Den administrativen Aufwand mussten wir, das heisst Natascha, selbst erledigen, was in einem neuen Land eine besondere Herausforderung ist. Wir mussten das System kennen lernen und wie die einzelnen Schritte zum Resultat führen. Das fängt mit der Müllentsorgung an und geht mit Steuererklärung, Buchhaltung etcetera weiter. Auch muss man sich mit den Gesetzgebungen auseinandersetzen, dies ist wichtig für die erhoffte Aufenthaltsbewilligung. Unsere Anwältin hat uns in allen rechtlichen und Visaangelegenheiten unterstützt.

Wie lange dauerten die Vorbereitungen?
Vom Moment an, als wir die Idee hatten, bis wir ins Flugzeug gestiegen sind, vergingen rund zweieinhalb Jahre. Während dieser Zeit lief sehr viel. Wir entwickelten einen Businessplan, ich baute den Aufleger für mein zukünftiges Auto, wir verkauften einen Teil des Hausrates und packten einen Container... Daneben arbeitete ich voll in meinem Betrieb. Mit Daniel Schmidiger hatte ich einen idealen Nachfolger. Er war zuerst unser Lernender und anschliessend Angestellter. Er hat auch unseren letzten Lernenden, David Villing, angestellt. Der Betrieb ist sozusagen in der Familie geblieben.

Gemäss einem Interview in der lokalen Zeitung sind deine Auftragsbücher bereits voll. 
Ja, ich bin ausgebucht und habe mittlerweile einen Angestellten. Ich selbst arbeite an fünf Tagen von 7 bis 17 Uhr, die übrige Zeit brauche ich für die Familie und die Hobbys – ich bin nicht nur leidenschaftlicher Hufschmied, sondern auch leidenschaftlicher Vater. Rund die Hälfte der Kunden kommt zu mir in den Shop zum Beschlagen, die anderen besuche ich. Ich arbeite mit vier Tierärzten zusammen, das heisst auch, dass ich zeitweise in einer Klinik in Claresholmes arbeite.  

Du wohnst abgelegen auf einer Farm. Wie sieht es mit der Verfügbarkeit der Zusatzmaterialien aus, welche du für die orthopädischen Beschläge benötigst?
0815-Material bekommt man überall. Zubehör für Spezialbeschläge bestelle ich in Texas, das muss dann eingeflogen werden, Einlagen beschaffe ich immer noch bei Markus Geissmann. Aber wo möglich unterstütze ich die Hufschmiedeläden der Region. 

Du hast bereits in der Schweiz die Einrichtung für den Aufleger gebaut. Funktioniert alles wie gewünscht?
Ja, einwandfrei. Ich hatte ihn online gekauft und mir die Masse schicken lassen. Als wir ankamen, musste ich nur noch alles einbauen. Ich kann die Türe öffnen und arbeiten. Alles ist drin – Hufeisen, Arbeitsplatz und so weiter. Die Heizung hat sich schon bei -40° Celsuis bewährt. So etwas hat man hier noch nie gesehen, das gibt immer spannende Diskussionen. Das ganze Fahrzeug ist zwar etwas gross, aber auf den Bauernhöfen ist das kein Problem und sogar bei MacDonalds hat es genug Platz.

Was unterscheidet den Hufbeschlag zwischen Kanada und der Schweiz?
Hier in Alberta werden die Pferde oft als Arbeitspartner für die tägliche Arbeit auf der Ranch gebraucht, was in der Schweiz nur noch sehr selten anzutreffen ist. Deshalb tragen die Cowboys besonders Sorge. Der Beschlag unterscheidet sich hier insofern, dass das Gelände und die Abnutzung anspruchsvoller sind. Ein weiterer Unterschied ist der Winterbeschlag. Der Winter ist länger und kälter und eisiger hier in Alberta. Als Rutsch-Schutz wird Borium auf das Eisen aufgetragen. Zusätzlich werden noch Pads verwendet. Ansonsten ist die Arbeit sehr ähnlich wie in der Schweiz: Sport- und Freizeitpferde in allen Reitweisen und verschiedenen Disziplinen. Grundsätzlich würde ich sagen, dass hier die Ansprüche weniger hoch sind. Das hat auch damit zu tun, dass die Kanadier in Bezug auf ihre Pferde sehr pragmatisch unterwegs sind. Ich denke, dass das auch ein kultureller Unterschied ist. Mir ist es wichtig, allen Tieren die bestmögliche Unterstützung zu geben, sei es nun mit einem Standard- oder einem Therapie-Beschlag.

Wie hast du dich selbst an die Verhältnisse angepasst?
Ich bin ein bisschen zum Cowboy geworden, helfe zum Beispiel einem befreundeten Paar beim Viehtreiben. Auch unsere Kinder reiten, wir haben unterdessen acht Pferde. Es ist wie in einem Märchen – aber wie gesagt, nicht ganz einfach. An gewisse Sachen konnte ich mich sehr gut gewöhnen, wie zum Beispiel die offene und unterstützende Art der Kanadier. Das schätze ich sehr. Schwieriger fiel mir, gelassen und nachsichtig mit der hiesigen Pünktlichkeit zu werden. Ich glaube, wenn man sich lange Zeit an einen gewissen präzisen Rhythmus gewöhnt hat, ist es schwierig einfach loszulassen. Ich habe aber auch hier meine Fortschritte gemacht.

Wie sieht deine Situation in Sundre aus – vermutlich haben die Hufschmiede in der Region nicht auf dich gewartet...
Ich musste mich am Anfang beweisen. Das muss man aber immer und überall. Die zufriedenen Kunden haben mich weiterempfohlen. So hat sich mein Kundenkreis rasant erweitert. Auch die Zusammenarbeit mit den Veterinären hat sich als Weiterempfehlungsquelle bewährt. Hufschmiede sind gefragt – es gibt hier mehr Pferde als Einwohner.

Wie beurteilst du deine Ausbildung im Vergleich zu den kanadischen Hufschmieden?
Im Gegensatz zur durchorganisierten Ausbildung in der Schweiz, während der man als Lernender sogar noch etwas verdient, gibt es hier keine Berufslehre. Angehende Hufschmiedinnen und Hufschmiede besuchen eine Horseshoeing-School, wo sie für die Ausbildung zahlen müssen. Dort haben sie aber lange nicht die Möglichkeiten wie bei uns und können auch keine Verantwortung für ihre Arbeit übernehmen. Nach der Schule gehen sie in ein sogenanntes Apprentice-Ship, eine Art Praktikum. Einige kaufen sich dann schon nach wenigen Monaten einen Pick-up und legen los. Sie können schnell Geld verdienen, bleiben aber fachlich stehen. Manche absolvieren die Ausbildung in den USA, dort gibt es zum Beispiel einen sechswöchigen Kurs mit Prüfung, nach dem man als Hufschmied arbeiten darf. Generell sind die handwerklichen Fähigkeiten gut, aber oft fehlen die anatomischen Kenntnisse. Viele würden gerne mehr lernen, und wenn ich ihnen von der Schweiz erzähle, flippen sie fast aus. Demnächst kommt ein Absolvent vom Olds College zu uns, um sich weiterzubilden.

Wo siehst du die grössten Herausforderungen der nächsten Jahre?
Ich habe immer noch ein Arbeitsvisum. Der Antrag auf eine Permanent Residence, die Niederlassungsbewilligung, ist gestellt, und wenn ich über diese verfüge, kann ich den kanadischen Pass beantragen. Erst dann kann ich auch die Waffenprüfung ablegen – bei den Bären, Pumas und Koyoten, die bis in den Garten kommen, ist das kein Spleen... In der nächsten Zeit möchte ich gerne in die Ranch investieren, das Haus entweder um- oder neu bauen. Dann erwarten wir zunehmend Familienmitglieder und Kollegen, die jetzt wieder reisen dürfen. Alle sind willkommen, auch wenn wir daneben halt arbeiten müssen. 

Wie stehen die Chancen, dass eine junge Hufschmiedin oder ein junger Hufschmied aus der Schweiz zu dir in ein Praktikum kommen kann?
Meine Familie und ich sind – das war bereits in der Schweiz – sehr offen gegenüber jungen Talenten, die sich weiterbilden und Neues sehen und lernen möchten. Wenn jemand Interesse hat, darf sie oder er sich gerne bei uns melden. Weitere Schritte können wir dann gemeinsam besprechen und angehen. Nebenbei den Arbeits- und Lebenserfahrungen können auch die Englischkenntnisse erweitert werden. Take care and all the best!

Kontakt und weitere Informationen:
www.th-horseshoeing.com

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